1. Kapitel - Der Fehlschlag
Der Zauberer Homunkulus war überglücklich!
Bei einem längeren Aufenthalt im Unterreich der Elfen hatte er vor einiger Zeit eine hübsche Magierin kennengelernt, eine Dunkelelfe, die fast zehn Mal so alt war wie er selbst, jedoch gegen sein sichtbares körperliches Alter wie ein Teeny wirkte.
Die beiden hatten sich spontan ineinander verliebt, worauf Maya, wie die Elfin hieß, beschlossen hatte, in Zukunft mit ihrem Liebsten an der Oberfläche zu leben und ihn bei seinen Experimenten zu unterstützen.
Maya wurde von allen Freunden des Zauberers herzlichst begrüßt, und man hatte sie rasch als seine Gefährtin akzeptiert. Sie war von kleiner, zierlicher Gestalt, hatte pechschwarze, lange Haare, was einen guten Kontrast zum schneeweißen Haar und Bart des Magiers darstellte, und ihre Haut schimmerte blauschwarz. Wenn die Sonne auf sie schien, glitzerte ihre Haut sogar ganz metallisch in funkelndem Hellblau, als wenn sie gerade in Saphir-Staub gebadet hätte.
Shanti fand es famos, daß einer seiner besten Freunde so ganz unvermutet unter die Haube gekommen war, auch wenn ihm durch diese Tatsache bedeutend weniger Zeit für gemeinsame Abenteuer verblieb. Doch dies war ihm nicht einmal unrecht, denn auch in seinem eigenen Leben bahnte sich ganz langsam eine nette Freundschaft zu einem Zwergen-Mädchen an, wodurch sein Drang nach Abenteuern etwas reduziert wurde, weil seine Gedanken im Moment eher um seine neue Freundin Rosa kreisten, als um gefährliche Kämpfe mit feuerspeienden Schwarz-Drachen oder Weltraum- bzw. Höhlen-Abenteuer.
Überhaupt schien im Zwergles-Wald plötzlich die Zeit vieler neuer Beziehungen angebrochen zu sein. Den Anfang hatte Gorr gemacht. Er war ein paar Mal nach China teleportiert, weil ihn die Geschichte dieses alten Volkes schon immer sehr interessiert hatte, zumal dort in der Vergangenheit offenbar auch die Kunst des Teleportierens vorgekommen war. Von einer seiner Reisen brachte er eine bildhübsche Chinesin mit, die von da an mit ihm in der großen Höhle wohnte. Diese war recht bald einem chinesischen Prinzessinnen-Palast ähnlicher als der Wohnstätte eines Abenteurers, wodurch klar war, wer im Hause Gorr das Sagen hatte. Gorrs Frau trug den Namen Xing-Wao Hui-Trang Frui-Tenlao Inofung. Da sie daraus keine Spitznamen mochte und stets auf der vollständigen Nennung ihres Namens bestand, wurde sie bald im Zwergles-Wald nur noch Gorrine genannt. Damit war sie zufrieden, und jeder wußte, wer gemeint war.
Zuguterletzt muß die alte Eule Schubidu auch noch zu den Frischverliebten gerechnet werden. Denn hier hatte sich Folgendes ereignet:
Eines Abends, als Shanti von einem Besuch beim Goldenen Drachen zurückkam, pfiff er ein fröhliches Lied, als er sich dem Pilzhaus näherte. Denn er hatte sehr gute Laune, und der Drache hatte ihm einige neue Weisheiten über die Welt offenbart.
„Heee, Zwergle“, rief die Eule, als er unter ihrem Baum vorüberging, „wieder mal die Welt gerettet? Huhu! So laut, wie du pfeifst?“
„Welt gerettet?“ fragte Shanti etwas verblüfft zurück, „äähhh … nein … Quatsch … ich war nur beim Drachen … und den hab ich ja schon vor langer Zeit gerettet. Ich bin einfach gut drauf!“
„Dann pfeif trotzdem nicht so laut!“ befahl Schubidu etwas burschikos und deckte ihre Flügel sichtbar über den Eingang eines größeren Astloches in ihrem Eulen-Baum.
„Spinnst du, Schubidu?“ beklagte sich Shanti, „du hast dich noch nie über mein Pfeifen oder Singen beschwert. Ich bin halt manchmal fröhlich!“
„Aber jetzt ist es zu laut! Und wenn du den Grund wissen willst, dann klettere hoch zu mir. Und du wirst verstehen! Huhu, huhu!“
Shanti verzog sein Gesicht zu einem großen Fragezeichen, schnappte sich eine Leiter, die in der Nähe beim Pilzhaus lag, lehnte sie an den Ast, auf dem Schubidu saß, und kletterte nach oben.
Die Eule hatte inzwischen ihre Flügel von dem Astloch entfernt, und Shanti konnte ein süßes, kleines Eulchen in einem Nest voller weicher Moose sitzen sehen, das ihn mit großen Augen anblickte. Das kleine Flaum-Bündel schien erst vor kurzem aus dem Ei geschlüpft zu sein, denn die Schalen lagen noch im Nest.
„Das ist mein Söhnchen, Shanti! Er ist heute erst geboren worden, huhu. Ich nenne ihn Scio, denn er wird einmal ein weiser Eulerich werden, wie ich vermute!“
Shanti war von Herzen gerührt. Er strich Schubidu liebevoll über die Federn, gratulierte ihr herzlich zum Nachwuchs und schob dann seine Hand vorsichtig zu dem kleinen Flaum-Knäul, um ihn ebenfalls sanft zu steicheln.
„Sorry, Schubidu“, murmelte er dabei, „das habe ich nicht gewußt. Ich hoffe, ich habe den Kleinen nicht durch mein Gepfeiferi aufgeweckt...“
Bevor seine Mama antwortete, kroch das kleine Eulchen ganz unbeholfen zum Rand des Nestes, wetzte sein Schnäbelchen wie zu einer Freundschafts-Geste, am Finger von Shanti und ließ dann ein piepsiges „Hühüüüü...“ vernehmen.
„Ach wie süß!“ meinte Shanti. „Scio, wir wollen von nun an Freunde sein! Einverstanden?“
Wir wissen nicht, ob das kleine Eulchen diese Worte schon verstanden hat, aber zurück kam ein weiteres: „Hühüüüü...!“ Dann kuschelte sich das Flaum-Knäul wieder zurück in das Moos.
„Ach ist das schön!“ bekundete Zwergle nochmals seine Freude über den Eulen-Nachwuchs. Dann fragte er: „Wer ist eigentlich der Vater? Und ist Scio der einzige Nachwuchs? Ich denke, ihr Eulen legt immer mehrere Eier.“
„Wer Scios Vater ist, huhu, verrate ich dir nicht, Shanti. Sei nicht so neugierig! Bei uns Eulen ist das ja anders als bei euch Zweibeinern. Wir leben nur selten ständig zusammen. Huhu! Aber sei beruhigt, ich kenne ihn schon länger. Und bin halt auf sein Balzen hereingefallen. Und das in meinem Alter. Naja, huhu, er ist aber auch ein schöner Eulerich.“
Schubidu machte eine Pause und schien schmunzelnd in die Ferne zu blicken. Dann huhute sie weiter: „Aber da hast du auch die Antwort, huhu, auf deine zweite Frage. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste. Und da legen wir nicht so viele Eier mehr.“
Shanti gab sich zufrieden, beobachtete noch ein wenig den kleinen Scio, der sich in das weiche Moos des Nestes eingekuschelt hatte, verabschiedete sich dann von Schubidu und ging zum Abend-Essen ins Pilzhaus.
***
Eines regnerischen Morgens klopfte es ziemlich früh am Pilzhaus der Zwergen-Familie. Shantis Mutter öffnete verschlafen und wunderte sich, daß Maya, die neue Gefährtin des Zauberers, dringend ihren Sohn sprechen wollte.
Maya durfte sich an den Küchentisch setzen, wo sie von Zwergles-Mama erst einmal frischen Kräutertee vorgesetzt bekam, dann stieg auch schon Shanti vom Obergeschoß herunter, denn er hatte Stimmen gehört, was um diese Uhrzeit doch etwas ungewöhnlich im Zwergenhaus war.
„Hee, Maya, was machst du denn da?“ freute und wunderte sich Shanti gleichermaßen. Er begrüßte sie durch feste Umarmung und setzte sich ebenfalls an den Tisch, wo auch er von seiner Mutter eine Tasse Tee eingeschenkt bekam.
Die zierliche Dunkelelfe kam sofort zur Sache: „Homunkulus meinte, du wärst sicher daran interessiert, heute ein ganz besonderes Abenteuer zu erleben, nämlich einen kurzen Ausflug ins Reich der Dunkel-Elfen.“
„Oh?“ wunderte sich Zwergle mit erstauntem Gesichtsausdruck und kratzte sich etwas verschlafen hinter dem Ohr, als wenn er nicht so recht glauben könnte, was ihm da gerade berichtet worden war. „Ich denke, eure Seins-Ebene kann man nicht so einfach erreichen, weil sie in anderen energetischen Gefilden liegt. Sogar Gorr war es damals unmöglich, einfach ins Dunkelelfen-Land zu teleportieren.“
„Jaja, das stimmt schon“, antwortete Maya, „genau deswegen hat mein Weißbärtchen ja an einem direkten Portal-Zauber gearbeitet. Und seine Vorbereitungen sind offenbar nun fertig. Wir können gemeinsam durch ein direktes Portal in meine Heimat reisen, eine Zeit lang dort bleiben und durch denselben Durchgang wieder zurück gelangen. Und wir wollen gleich heute morgen das Portal aktivieren, da haben wir den ganzen Tag Zeit.“
Shanti grinste zunächst über sein ganzes Gesicht, so sehr amüsierte er sich über den Kosenamen Weißbärtchen, mit dem der alte Zauberer von seiner Herzallerliebsten bedacht worden war.
Natürlich war er an so einem Ausflug ins sogenannte Dunkelreich der Elfen interessiert. Alles Neue und Ungewöhnliche zog das Zwergle bekannterweise nahezu magisch an. So antwortete er der Elfe: „Klar, komme ich mit. Warte nur kurz hier, ich mache mich nur frisch und packe meine Abenteuer-Ausrüstung zusammen, also Zauberschwert, Tarnkappe und so weiter...“
„...und ich mache dir noch ein paar belegte Brote, dann kannst du unterwegs frühstücken!“ warf Shantis Mutter noch ein und ging gleich an die Arbeit.
Schon nach einer Viertelstunde war Zwergle fertig, verabschiedete sich herzlich von seinen Eltern, und machte sich mit Maya auf den Weg zur Behausung des Homunkulus.
Als sie unter dem Eulenbaum vorbeikamen, flog Schubidu gerade mit einer gefangenen Maus auf den Ast, um diese Eulen-Leibspeise für ihr Söhnchen zum Fressen vorzubereiten. Scio rief bereits ein aufgeregtes „hüühüü“ aus seinem Nest. „Tschüß Shanti!“ rief die Eule dem Zwergle hinterher. „Na, wenigstens heute wieder die Welt retten?“
„Wer weiß, Schubidu, wer weiß...“ rief Shanti zurück, und er ahnte nicht, wie recht er in absehbarer Zeit damit haben sollte.
Nach kurzer Wanderung erreichte er mit Maya die Zauber-Höhle. Homunkulus saß, wie so oft in letzter Zeit, auf seinem bequemen Ohrensessel vor der Höhle und genoß die orangene Morgensonne. Als er die Wanderer erblickte, stand er auf, umarmte Shanti kurz und sagte: „Was freue ich mich, daß wir mal wieder ein Abenteuer zusammen erleben.“
„Na, soooo abenteuerlich wird es auch nicht werden“, meinte Maya, „das Dunkelreich der Elfen ist ziemlich zivilisiert. Da gibt es keine Schwarz-Drachen wie hier oben.“
Und zu Homunkulus gewandt fuhr sie fort: „Er hat sogar sein Zauberschwert eingepackt, Weißbärtchen. Verstehe ich gar nicht. Wir ziehen doch in keine Schlacht.“
Homunkulus lief etwas rötlich an, weil sie ihn vor Shanti mit dem Spitznamen angesprochen hatte, und erwiderte: „Bisher hat es sich stets als gut erwiesen, wenn er das Schwert dabei hatte. Wir wissen nie, was sich unterwegs so alles ereignen wird.“
Shanti mischte sich in das Thema gar nicht ein, sondern fragte voller Tatendurst: „Und? Wann geht es los? Ist das Portal schon offen? Oder brauchen wir noch so ein Ding wie damals den Weltraum-Ring?“
„Brauchen wir nicht!“ behauptete Homunkulus und strich sich dabei bedächtig über den langen weißen Bart. „Ich muß nur das Portal mit meinem speziellen Zauberspruch öffnen, den ich mir notiert habe. Er ist recht kompliziert. Ich konnte ihn mir nicht merken. Daher darf ich mein Notizbuch keinesfalls verlieren, sonst kann ich das Portal für die Rückreise nicht mehr aktivieren.“
„Du hast wohl lange geforscht, bevor du diesen Portal-Zauber geschafft hast?“ fragte Zwergle, während sich die drei schon in Richtung Zauber-Labor in Bewegung setzten.
„Ja, natürlich“, antwortete Homunkulus, während er seinen Ohrensessel noch unter einen regensicheren Unterstand schob, „ich habe viele verschiedene materielle und feinstoffliche Existenz-Bereiche mit Portal-Zaubern zu erreichen versucht. Vieles ist gelungen, einiges nicht, und ein paar Experimente stehen noch aus, zum Beispiel einen Portalzauber zu den extrem gefährlichen Gefilden der Höllen-Welten. Doch diese Versuche werde ich nachholen, sobald wir zurück sind. Sogar ein paar Beschwörungs-Ritual-Sprüche habe ich ausgeknobelt, aber davon lasse ich die Finger, denn wir wollen ja keinen Durchgang für irgendwelche fiesen Dämonen hier öffnen, oder?“
Das Zwergle grinste, aber schüttelte auch nachdenklich den Kopf. „Dämonen?“ sinnierte es, „kann ein offenes Portal einen Dämonen herbeizaubern?“
„Quatsch!“ behauptete Homunkulus, während alle Drei nun das Innere der Höhle betraten und der Zauberer die Tür hinter ihnen schloß. „Ein Portal-Zauber ist etwas völlig anderes, als eine Beschwörung. Ein Portal ist ein Durchgang zu einer fernen Gegend der Erde oder eines anderen Planeten, oder – wie in diesem Falle – einer anderen Existenz-Ebene mit anderer Dichte. Eine Beschwörung jedoch ruft allerlei Wesen herbei, die dann in einem dazu unbedingt notwendigen Bannkreis erscheinen. Natürlich entsteht für diese Wesen ebenfalls eine Art Durchgang zu unserer Existenz, aber wir können sie auch nach Belieben wieder zurück schicken, wenn es sich um unangenehme Wesen handelt. Dazu muß eben der entsprechende Bannkreis errichtet werden, den sie dann nicht verlassen können.“
„Aha...“ erwiderte Shanti nur.
Doch schon erklärte der Zauberer weiter: „Am besten man läßt die Finger von Beschwörungen. Ich mußte mich zwar in letzter Zeit auch mit Beschwörungs-Sprüchen abgeben, weil ich sie ganz genau von den Portal-Sprüchen zu trennen hatte, aber verwenden werde ich sie wohl nie. Das ist einfach zu gefährlich. Man weiß ja nie, wer da wirklich erscheinen wird.“
Das Trio war inzwischen im Labor des Zauberers angekommen, wo es von Büchern, Zauber-Utensilien und alchimistischen Mitteln nur so wimmelte.
Mitten im Raum hatte Homunkulus zwei uralt wirkende Steine platziert, die über und über mit geheimnisvollen Zeichen versehen waren.
Ohne daß es fragen mußte, erkannte das Zwergle ihre Funktion: es waren die Portalsteine. Über ihnen würde sich bald eine Art Energie-Bogen spannen, worunter der Durchgang zum Unterreich sich öffnen würde.
Der Zauberer stellte sich nun direkt vor die Steine und fragte Maya und Shanti: „Seid ihr bereit? Dann werde ich nun den Zauberspruch verlesen!“
Als beide nickten, holte der alte Mann sein Notizbuch aus der Kutte, schlug es auf und begann salbungsvoll den schwierigen Zauber zu rezitieren: „Hango al Mango, transzen dito, wungo et tschungo, in medium pestilenciae lux esset, veni et vici cum explicatores, mango-tango og utrolige tienester diabolissimo!“
Während des Zitates der Zauber-Formel war es im Labor immer heller geworden. Doch kein warmes, angenehmes Licht war entstanden, sondern eine Art düsterrotes Glühen, eine unheimliche Farbe, die offenbar das baldige Eintreten eines ominösen Geschehnisses ankündigte.
Als nun auch noch grummelnde und wabernde, sehr tiefe Geräusche aus dem Boden der Zauber-Höhle drangen und das gesamte Labor leicht zu vibrieren begann, flüsterte Shanti beunruhigt: „Was ist das denn? Ist das normal bei einem Portations-Zauber?“
In diesem Augenblick hauchte Maya voller Entsetzen: „Schatzi, was ist das denn?“
Shanti erkannte sofort, was sie meinte. Zwischen den Portal-Steinen begann sich kein magischer Torbogen aufzubauen, sondern die Umrisse einer rot glühenden, stockhäßlichen Gestalt wurden langsam sichtbar.
Homunkulus unterbrach sofort die Rezitation der Zauber-Formel und rief: „Um Himmels Willen!“
„Was ist los?“ fragte Shanti, um sofort das Zauberschwert zu zücken, das unter seiner Wander-Weste verborgen gewesen war.
Der Zauberer blickte erschrocken in sein Notizbuch, blätterte hin und her und rief entsetzt aus: „Oh nein, es ist wahr. Ich habe aus Versehen die Formeln verwechselt. Das war kein Portal-Zauber, das war der Spruch zur Beschwörung des höchsten Höllen-Fürsten, wer auch immer das zur Zeit sein mag!“
„Mach es sofort rückgängig!“ forderte Maya und drückte sich mit ängstlich geweiteten Augen an die Wand hinter ihr.
„Geht nicht!“ rief Homunkulus aus. „Der Zauber ist schon evokiert worden. Was für ein Unglück! Und wir haben keinen Bannkreis gezogen!“
Immer sichtbarer wurde nun die rot glühende gruselige Gestalt, die einen langen feuerroten Schwanz hatte und mit zwei Bocks-Hörnern am Kopf bestückt war.
Die Augen erschienen tief schwarz und glühten dennoch in düsterem Rot, wodurch sie stechend, ja hypnotisch wirkten.
Dann schien sich die gefährliche Gestalt völlig manifestiert zu haben, blickte jeden der Drei durchdringend an und brüllte: „Wer wagt es, mich herbeizurufen, mich, Mephrigorgorus, den Fürsten aller Höllen, Kaiser der siebten Hölle des Feuers und Herr allen Un-Lebens?“
Dabei stank sein Atem bestialisch nach Phosphor und Schwefel.
Während Maya sich immer noch ängstlich an die Wand drückte und Homunkulus nur „ääh … ääh...“ stammelte, da es ihm vollends die Sprache verschlagen hatte, stellte sich Shanti keck vor den rot glühenden Teufel, stützte sich auf sein inzwischen weiß leuchtendes Zauberschwert und antwortete dem Höllenfürsten: „Aha, Mefi heißt du also. Seltsamer Name für so einen Feuerspeier wie du es bist!
Doch du bist hier nicht unter Deinesgleichen und du kannst auch niemanden einschüchtern, wenn du dich aufführst wie ein durchgeknalltes Stinktier. Du bist hier nämlich in meiner Heimat, dem Zwergles-Wald. Und wir schätzen eine höfliche, respektvolle Redensart. Also benimm dich gefälligst anständig, Herr Ober-Teufel.“
Wenn einem Teufel es möglich gewesen wäre, daß ihm sein Unterkiefer vor Staunen herunterklappt, dann wäre das nun geschehen!
So eine Situation hatte er noch nie erlebt!
Wahrscheinlich erwartete er, daß die Zweibeiner vor ihm schreckliche Angst hätten oder sofort in seinen teuflischen Bann geraten würden. Aber nun stellt sich ausgerechnet ein Zwerg furchtlos und unverfroren vor ihn hin, um ihn in seine Schranken zu weisen. Und er hatte ihn auch noch völlig respektlos als Mefi bezeichnet, das wagten nicht mal die unerschrockendsten seiner Höllen-Generäle! Dies konnte und durfte nicht sein. Zumindest nicht aus der Sicht des Oberteufels Mephrigorgorus!
So stampfte er wütend mit einem Fuß auf den Boden der Höhle und brüllte: „Ihr nutzlosen Zweibeiner! Ihr habt mich mit einem üblen Gaukler-Zauber in eure verkommene materielle Welt gezwungen, die kaum noch an Teufel glaubt. Die Konsequenzen dieses frevelhaften Tuns werdet ihr nun tragen müssen. Ich werde mit meinen Untertanen zunächst den ganzen Zwergles-Wald mit Höllen-Feuer überschütten und danach euren gesamten Planeten erobern. Dann werdet ihr wieder an Teufel glauben. Hohohoooo!“
Nach dieser Drohung stieß das Höllenwesen noch ein bedrohliches Grollen aus und wollte auf Zwergle zustampfen, doch schreckte schon nach einem Schritt wieder zurück. Dabei wirkte der Teufel wie eine Kuh, die sich kurz vor einem elektrisch geladenen Weidezaun daran erinnert, daß eine Berührung mit einem Draht einen unangenehmen Reiz verursacht.
Homunkulus verstand sofort diese Geste: der Teufel war der Meinung, daß er sich innerhalb eines Bannkreises befand, den er nicht zu verlassen vermochte.
'Wenn der wüßte, daß hier überhaupt kein Bann existiert, hätten wir nichts zu Lachen...' dachte er.
Mit strenger Stimme und mit machtvoll leuchtenden Augen antwortete der Zauberer nun dem Teufel: „Du wirst hier überhaupt nichts tun, Höllenfürst! Weder diese Lebensgemeinschaft im Wald, noch die gesamte Erde möchte etwas mit euch Teufeln zu tun haben. Mag sein, daß ihr in der irdischen Vergangenheit so einige Opfer auf Erden gefunden habt, die ihr manipulieren und zu gefügigen Vasallen machen konntet. Aber die Erde und ihre darauf lebenden Wesen verlassen langsam den Kindergarten des Bewußtseins. Wir streben nach der Höhe und Weite des Lichts, nicht nach den versklavenden Gebundenheiten der Finsternis.
Mit anderen Worten: Du wirst auf der Erde keine Resonanzen mehr für deine Bosheiten finden, Höllenfürst.“
Der Teufel lachte mit grollender Stimme und gab zur Antwort: „Das werden wir ja sehen, wenn ich mit all meinem Gefolge hier auftauchen werde. Die Gier ist noch lange nicht aus euch Zweibeinern verschwunden. Und genau dadurch werde ich euch an mich binden. All die unerfüllten Wünsche, all die lange verdrängten Sehnsüchte, all dies wird zum Vorschein kommen. Und dann lauft ihr mir der Reihe nach in die Falle. Jeder erfüllte Wunsch aus eigennützigem Grunde ist eine offene Türe zum Kerker meiner ewigen Fesseln!“
Da machte Shanti noch zwei Schritte auf Mephrigorgorus zu, bis zu jener Stelle, über die der Teufel nicht zu schreiten wagte, blickte nach oben in seine Augen und behauptete: „Nein, Mefi, nichts von deinen Vorstellungen wird sich erfüllen. Dafür werde ich sorgen, sowahr ich Shanti heiße!“
Das gruselige Wesen wollte gerade zu einer bissigen Antwort ansetzen, da erklang von hinten laut die Stimme des Zauberers: „Hanga-owaia, tschanga-mataia, xolpo-matolgo, inhöllo-dufolgo!“
Da erhob sich eine gewaltige schwarze Flamme aus dem Boden der Zauberhöhle, die den erbosten Teufel von oben bis unten sofort einhüllte und auf magische Art und Weise zu verschlingen drohte.
„Meine Rache wird schecklich sein!“ brüllte der Oberteufel noch.
Dann explodierte die Schwarz-Flamme und hinterließ eine pechschwarze Öffnung mitten im Raum, aus der düsterrot glühende Kraken-Arme herausquollen, von denen das Höllenwesen gepackt und in die Öffnung gezogen wurde.
Noch einmal war ein wuterfüllter Teufels-Schrei zu hören, der nichts Gutes verhieß.
Dann war der Spuk plötzlich zu Ende.
Mephrigorgorus war verschwunden, das schwarze Loch schloß sich wieder, und im Raum verblieb als Erinnerung an den Teufel nur ein beißender Gestank nach Schwefel und Phosphor.
„Was hast du gemacht?“ fragte Zwergle den Zauberer.
„Nunja, ich habe mich an eine Art Astral-Wesen-Zurückweisungs-Magie erinnert, die versehentlich herbeibeschworene Wesen an ihren Ausgangs-Ort zurückversetzen kann, falls einmal etwas schiefgeht. Und da heute ziemlich viel schiefgegangen ist, habe ich diesen Zauber mit höchst möglicher Intensität angewendet. Und ich hoffe, erfolgreich. Denn das Unwesen hat zum Glück nicht gemerkt, daß es überhaupt keinen Bann-Kreis gab.“
„Der Teufel ist also wieder an seinem Platz in der Hölle?“ wollte Maya wissen. „Kann er denn nicht von alleine wieder erscheinen und seine Rache ausführen?“
Homunkulus ließ sich zunächst einmal völlig erschöpft auf einen Hocker niedersinken, denn der verstärkte Rückführungs-Zauber hatte ihm viel Kraft gekostet. Er zitterte sogar leicht am ganzen Körper, was Shanti noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Erst als das Zittern nachließ beantwortete er die Frage seiner Gefährtin: „Der Teufel ist ganz sicher wieder dort, von wo mein Zauber-Fehler aus Unachtsamkeit ihn gerufen hatte. Aber er kennt nun unsere materielle Welt, besonders kennt er uns drei und unseren Wohnsitz. Und er wäre nicht zum Fürsten aller Teufel aufgestiegen, wenn er jetzt nicht nach Rache sinnen würde, um seine Drohung wahr zu machen. Er wird nun nach Wegen und Möglichkeiten suchen, um nach Gutdünken hierher zu gelangen. Eben auch aus eigener Kraft.“
„Das bedeutet“, fügte Shanti hinzu, „daß wir ihm nun zuvorkommen müssen. Wir dürfen nicht warten, bis der Kerl durch seine diabolischen Zaubereien ein Portal in unseren Wald für sich und Seinesgleichen zustande gebracht hat. Wir müssen zuvor einen netten Ausflug in seine Hölle machen, um ihm dort den Spaß, die Erde zu überfallen, ein für allemal auszutreiben.“
Keiner sagte eine Zeit lang ein Wort. Dann sprach der Zauberer zu seiner Gefährtin: „Maya, ich glaube, wir müssen den Ausflug in deine Heimat verschieben. Das machen wir, sobald wir diese höllische Herausforderung gemeistert haben. In Ordnung?“
„Ja, das geht klar, Weißbärtchen, aber nur, wenn ihr mich auch in die Teufels-Welten mitnehmt!“
Homunkulus wollte schon scharf protestieren, doch Shanti erkannte seine Absicht und kam ihm zuvor. „Klar kommst du mit“, sagte er zu der Dunkelelfe, „wir können jedes aufrechte Wesen mit lichtem Herzen brauchen, wenn wir in einen Bereich der Finsternis hinabsteigen. Und mit Bereichen jenseits der Materie hast du ja sowieso schon Erfahrung!“
Die Augen des Zauberers funkelten ärgerlich, als Shanti die Elfe regelrecht zum Mitkommen aufforderte. Aber er konnte es ja nicht mehr verbieten, ohne sich lächerlich zu machen.
So wechselte er das Thema und meinte: „Wir sollten wirklich so schnell wie möglich aufbrechen. Und ich habe auch einen Zauber parat, der uns direkt in die erste Hölle bringt. Von da aus müssen wir uns von Ebene zu Ebene weiter nach unten bewegen, um schließlich in die fürchterliche siebte Hölle zu gelangen, wo der Teufels-Fürst offenbar seinen Palast hat. Die Rückreise kann zum Glück von jeder Höllen-Ebene aus geschehen. Wir können also auch von ganz unten wieder direkt hierher gelangen. Zum Glück!“
„Moment!“ rief Shanti. „Du hast doch vorhin gesagt, daß du die Portations-Zauber in die Hölle noch nicht fertig hast. Dann können wir doch noch gar nicht reisen.“
„Doch, er ist fertig“, korrigierte Homunkulus, „ich habe ihn nur noch nicht ausprobiert. Wozu auch. Ich war bisher nicht sehr scharf auf Begegnungen mit Teufeln und deren Helfershelfer.“
„Aber wir könnten doch wer-weiß-wo landen...“ fügte Maya etwas verunsichert hinzu.
„Keine Sorge, Liebes! Meine Zauber funktionieren. Auch wenn das Portal zur Hölle noch nicht erprobt wurde, es wird problemlos entstehen...“
„Wenn du nicht wieder einen falschen Zauberspruch erwischt!“ unterbrach das Zwergle frech grinsend den Zauberer.
Dieser war ihm aber nicht böse, sondern grinste ebenso zurück, wobei er in seinen weißen Bart murmelte: „Das passiert mit kein zweites Mal mehr...“
Dann wurde beschlossen, sich übermorgen in aller Frühe wieder in der Zauberhöhle zu treffen, um den Höllenportalzauber zu aktivieren.
Homunkulus und Maya wollten noch alles Wissenswerte über die sieben Höllen aus verschiedener magischer Literatur heraussuchen.
Shanti hingegen gedachte, den goldenen Drachen der Weisheit zu besuchen, der einer der ersten wilden Drachen war, die er mit seinem Zauberschwert zu einem edlen Wesen hatte verwandeln können und der seitdem mitten im Zwergles-Wald auf dem Gipfel des Glasberges wohnte.
Allerdings machte sich Zwergle erst einmal auf den Heimweg, um seine Abenteuer-Ausrüstung in sein Zimmer zu bringen.
Es war noch nicht einmal Mittag, als er wieder beim Pilzhaus angekommen war. Die Eule Schubidu schlief fest, hob jedoch kurz ein Augenlid hoch, als Shanti fröhlich pfeifend unter ihrem Baum durchspazierte.
'Aha, unser Weltretter ist schon zurück...' dachte sie kurz, um dann wieder das Auge zu schließen und weiterzuschlafen.
Sie träumte einen Traum von vielen, vielen leckeren Mäusen, worin Shanti immerhin ihre kleine Eulen-Welt rettete, indem er verhinderte, daß irgend ein Mensch den Eulen-Baum zu Kleinholz zusammensägte.